Zwischen «Nasenfaktor» und Parteipolitik – Wie man General der Bundeswehr wird (2024)

Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Bundeswehr umbauen. Sein Ziel: straffere Strukturen, weniger Kommandos und Stäbe. Damit geht er auch an die Pfründen der Generalität. Deren Posten haben sich wundersam vermehrt, während die Truppe deutlich kleiner wurde.

Marco Seliger, Berlin

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Boris Pistorius steht an einem schwarzen Pult vor einer Videoleinwand, auf die sein Bild proji*ziert wird. Es ist fast Mittag an jenem Freitag Mitte November. Der deutsche Verteidigungsminister hat schon mehr als eine halbe Stunde auf der Bundeswehrtagung geredet. Als Pistorius zum Schluss kommt, sagt er etwas, das die Generale und Admirale, die vor ihm sitzen, aufhorchen lässt.

Die Bundeswehr müsse zur zeitgemässen Landes- und Bündnisverteidigung voll befähigt werden, sagt er. Dazu benötige sie die passenden Strukturen. So weit, so bekannt. Doch dann kommt es: Daher habe er den Generalinspekteur zusammen mit Staatssekretär Nils Hilmer beauftragt, ihm bis Ostern 2024 Vorschläge für eine (neue) Struktur der Streitkräfte und der nachgeordneten zivilen Bereiche vorzulegen. Organisationsbereiche und Kommandos müssten hinterfragt werden, es dürfe keine Denkverbote geben. «Betrachten Sie das bitte als meinen klaren Marschbefehl.»

Den Spitzenmilitärs dürfte sofort klar gewesen sein, welche Folgen die Bemerkungen des Ministers haben werden: Mehr als 630 Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, neun Jahre nach Putins gewaltsamer Annexion der Krim, könnte nun der seit Jahren überfällige Umbau der deutschen Armee beginnen. Pistorius will weg von den aufgeblähten und kopflastigen Strukturen der Friedensarmee hin zu einer straffen und weniger stabslastigen Organisation für den Kriegsfall. Das bedeutet: Es geht auch Generalen und Admiralen an den Kragen.

Im Kalten Krieg verfügte die Bundeswehr über knapp 500000 Soldaten, der überwiegende Teil von ihnen wehrdienstleistende Mannschaftsdienstgrade. An ihrer Spitze standen etwa 200 Generale und Admirale. Heute hat die deutsche Armee eine Stärke von 181000 Männern und Frauen, davon weniger als 50000 Mannschaftssoldaten. Während der Umfang der Truppe erheblich sank, blieb die Zahl der Generale und Admirale im Vergleich zum Kalten Krieg nahezu gleich.

Seit Jahren immer neue Generalsposten

Das liegt nicht zuletzt daran, dass es Generalität und Admiralität in den vergangenen dreissig Jahren geschafft haben, immer neue Posten zu kreieren. So greift etwa seit Jahren ein «Beauftragten-Wesen» um sich. Für alle möglichen neuen Aufgaben gibt es einen Beauftragten, zum Beispiel den Beauftragten für die Digitalisierung des Heeres, den Beauftragten für Soldaten mit posttraumatischem Belastungssyndrom oder den Beauftragten für Erziehung und Ausbildung. Posten wie diese bekleidet dann ein General.

Doch wie wird man General oder – in der Marine – Admiral? Wie schafft man es auf die höchsten militärischen Posten der Republik? Und was sind das für Leute, die es dorthin bringen?

Wer General werden will, muss nach Hamburg. Dort befindet sich die Führungsakademie der Bundeswehr, ihre Kaserne ist nach dem weltberühmten preussischen Heeresreformer Carl von Clausewitz benannt. So gut wie jeder Berufsoffizier absolviert dort den dreieinhalbmonatigen Lehrgang für Stabsoffiziere. An seinem Ende steht eine Prüfung, eine Wertung und eine Beurteilung.

Umfang der einzelnen Dienstgradgruppen in der Bundeswehr

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Stand: Juli 2023

Quelle: Bundesministerium der Verteidigung

NZZ / ski.

Die etwa 40 bis 50 Jahrgangsbesten erhalten die Zulassung für den späteren Generalstabslehrgang. Er dauert zwei Jahre, findet ebenfalls in Hamburg statt, und an seinem Ende steht keine Prüfung mehr, sondern eine Beurteilung. Eignung, Leistung und Befähigung: Der verfassungsrechtliche Dreiklang für Beamte im öffentlichen Dienst (Berufssoldaten haben in Deutschland eine Art Beamtenstatus) spielt hier eine wichtige Rolle.

Ein misstönender Satz kann Karrieren beenden

Doch je höher ein Soldat dann kommt, desto wichtiger werden andere Aspekte. Das beginnt beim «Nasenfaktor». Wer es in die Generalität und Admiralität geschafft hat, den mussten seine Vorgesetzten im übertragenen Sinn gut riechen können. Alle zwei Jahre muss sich ein Offizier der Bundeswehr beurteilen lassen. Ein einziger misstönender Satz kann ihn schnell an einen Ort verschlagen, den Soldaten so nennen wie eine Lebensmittelkette: «Edeka» – Ende der Karriere.

Die Folgen dieses Systems liegen auf der Hand. Es bringt stromlinienförmige Offiziere hervor, die es nicht zuletzt deshalb weit bringen, weil sie nicht anecken. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber meist erst dann, wenn die Karriere ohnehin nicht mehr weitergeht. Oder man trifft auf einen Minister, der die in der Bundeswehr üblichen Beförderungsmechanismen ausser Kraft setzt.

Eine solche Ministerin war Ursula von der Leyen. Und einer, auf den sie traf, ist der heutige Luftwaffenchef Ingo Gerhartz. Man kann es durchaus so sagen: Ohne von der Leyen wäre der Drei-Sterne-General Gerhartz mutmasslich nicht da, wo er ist. Als stellvertretender Ministeriumssprecher und Oberst arbeitete er zwischen 2014 und 2015 im Ministerium für Jens Flosdorff. Flosdorff ist bis heute einer der engsten Vertrauten von der Leyens, auch in der Brüsseler EU-Kommission, und war damals Ministeriumssprecher.

Gerhartz half Flosdorff, die ambitionierte Ministerin von medialer Unbill fernzuhalten. Das brachte ihm das Wohlwollen von der Leyens ein. Allerdings ging sein Engagement offenbar zulasten seines Verhältnisses zu anderen Teilen des Hauses. Als Gerhartz im Anschluss an seine Pressesprecher-Karriere auf Drängen von der Leyens der Büroleiter von Volker Wieker werden sollte, soll der damalige Generalinspekteur vergeblich versucht haben, diese Personalie zu verhindern. Wieker soll Gerhartz als verlängerten Arm der Ministerin betrachtet haben.

Der rasante Aufstieg des Luftwaffenchefs

So wurde Gerhartz zum Büroleiter des Generalinspekteurs und zum Brigadegeneral befördert. Damals war er 50 Jahre alt. Damit gehörte er in die Kategorie «General früh». Das sind Offiziere, die im Alter von 48 bis 50 Jahren in den Generalsrang aufsteigen. Sie haben dann noch etwa 15 Dienstjahre vor sich und damit beste Voraussetzungen, um bis zum Vier-Sterne-General durchzustarten.

Das ist der höchste Rang; davon gibt es in der Bundeswehr derzeit drei. Gerhartz soll im Jahr 2025 Chef des Nato-Kommandos in Brunssum (Niederlande) werden. Er wäre dann einer von diesen drei und hätte es innerhalb von zehn Jahren geschafft, vom Oberst in den höchsten Generalsrang aufzusteigen. Allein in den sechs Jahren von der Leyens im Verteidigungsministerium wurde er dreimal befördert. Als Luftwaffenchef gelang es ihm, die Einsatzbereitschaft der Kampfflugzeugflotte signifikant zu erhöhen. Ein rasanter Aufstieg wie ihm ist bisher nicht vielen in der Bundeswehr gelungen.

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Allerdings ist auf dieser Ebene die Luft auch besonders dünn. Das musste etwa General Erhard Bühler erfahren. Bühler ist der Vorvorgänger von Gerhartz auf dem Nato-Posten in Brunssum. Auch seine Karriere wurde von Ursula von der Leyen massgeblich beeinflusst. Bühler ist auch ein Beispiel dafür, wie Politiker, geleitet von eigenen Interessen, mitunter mit Generalen umgehen. Und er ist ein seltenes Beispiel für einen Offizier, der sich dagegen gewehrt hat.

Der fragwürdige «Fall Bühler»

Bühler war als Drei-Sterne-General bereits mehrere Jahre Leiter der Planungsabteilung im Verteidigungsministerium, als er im Jahr 2018 von der Personalkonferenz für einen der höchsten Posten ausgewählt wurde, die die Bundeswehr zu vergeben hat. Die Personalkonferenz ist ein kleiner Kreis, dem der Minister vorsteht und dem Staatssekretäre, der Generalinspekteur und der Abteilungsleiter Personal angehören. Dieser Zirkel befasst sich mit der Karriere von Generalen.

Das Gremium beschloss, dass Bühler zum 1.Februar 2019 für drei Jahre zum Nato-Befehlshaber in Brunssum und damit zum Vier-Sterne-General befördert werden soll. Dann geriet er jedoch in die «Berateraffäre». Externe Firmen sollen ohne korrekte Prüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Vergabeverfahren vom Ministerium extrem lukrative Beratungsaufträge erhalten haben.

Interne Ermittlungen des Verteidigungsministeriums kamen zu dem Ergebnis, dass Bühler kein disziplinarrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden konnte. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags indes befand in seiner politischen Bewertung, dass Bühler einen Teil der Verantwortung für Verstösse gegen die Vergaberichtlinien der Bundeswehr trage.

Auch von der Leyen war in der Berateraffäre unter Druck geraten. Mitglieder des Untersuchungsausschusses kritisierten sie dafür, möglicherweise kompromittierende Daten zu den Beraterverträgen von ihrem Diensthandy gelöscht zu haben. Sie hätte Bühler damals aus politischen Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzen können, tat dies aber nicht. Stattdessen schickte sie ihn wie geplant nach Brunssum, allerdings nur mit dem vorübergehenden Dienstgrad eines Vier-Sterne-Generals.

Erfolgreiche Beschwerde gegen die Ministerin

Als Bühler neun Monate später nach Deutschland zurückbeordert wurde, erkannte ihm das Ministerium diesen Rang wieder ab. Dagegen ging er auf dem Beschwerdeweg juristisch vor. Die Beschwerde eines Generals gegen den Minister landet in Deutschland automatisch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Im September vorigen Jahres urteilte der 1.Wehrdienstsenat in Leipzig, die Degradierung sei rechtswidrig gewesen.

In der Begründung heisst es unter anderem, dass die nach der Personalkonferenz eröffnete Entscheidung für eine Beförderung Bühlers nicht hätte zurückgenommen werden dürfen. Eine Auswahl für einen höheren Dienstposten nach Eignung, Leistung und Befähigung sehe automatisch eine Beförderung vor.

Der «Fall Bühler» hat Folgen. Sie betreffen etwa Offiziere, deren Weg zum General vermeintlich durch ihre Nähe zu einer politischen Partei erleichtert wurde. Dies kommt immer wieder vor, zum Beispiel bei Offizieren, die lange Zeit als verteidigungspolitische Referenten in einer Bundestagsfraktion gearbeitet haben. In der Vergangenheit gab es mehrfach Fälle, bei denen sich einflussreiche Politiker bei ihrem «Parteifreund» auf dem Chefsessel des Verteidigungsministeriums erfolgreich für eine Beförderung ihres ehemaligen Mitarbeiters zum General eingesetzt haben.

Das kann allerdings nach hinten losgehen. So gibt es auch Fälle, wie auf diese Weise protegierte Offiziere bei einem Ministerwechsel plötzlich doch leer ausgingen. Das passierte, weil der neue Minister einer anderen Partei angehörte und von der Beförderung nichts mehr wissen wollte. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lässt ein willkürliches Vorgehen wie dieses nun eigentlich nicht mehr zu. Ein General, den die Personalkonferenz ausgewählt hat, könne, so geht aus dem Urteil hervor, nicht ohne sachliche Gründe zurückgestuft werden.

Boris Pistorius bleibt eine andere Möglichkeit, um sich von Generalen und Admiralen zu trennen. Da es sich bei ihnen um eine Art politische Beamte handelt, kann er sie jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Gerhard Schröder, einer der christlichdemokratischen Vorgänger von Pistorius und nicht zu verwechseln mit dem späteren Bundeskanzler, hatte in seiner Amtszeit von 1966 bis 1969 mehr als 50 Generale und Admirale vorzeitig nach Hause geschickt. Pistorius hat das bisher nur mit einem getan.

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